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Was passiert, wenn Offenheit zur neuen Norm wird?

Immer mehr Unternehmer:innen zeigen sich öffentlich mit Brüchen, Zweifeln und innerem Ringen. Das kann verbinden – oder auch überfordern. In diesem Impuls geht es um die feine Grenze zwischen Echtheit und Inszenierung, um neue Erwartungen an Führung – und um die Frage, wie Resonanz möglich bleibt in einer Welt, die zunehmend performt.

Verletzlichkeit als Strategie?

Gedanken zur Authentizität in der Führung

In den letzten Jahren hat sich der Ton in der Führungskultur verändert. Immer mehr Unternehmer:innen zeigen sich offen – mit Brüchen, Zweifeln und dem inneren Ringen, das Verantwortung mit sich bringen kann. Sie sprechen über Überforderung, Krisen, schwierige Entscheidungen. Was früher kaum öffentlich thematisiert wurde, ist heute präsent auf Panels, in Podcasts, auf LinkedIn.

Diese Entwicklung hat Kraft. Offenheit kann entlasten, verbinden, inspirieren. Wer sich zeigt, erlaubt sich selbst Reflexion – und ermöglicht auch anderen, ehrlich zu sein. Das Teilen wird zum Lernen – für einen selbst und für andere. Verletzlichkeit wird zur Ressource.

Gleichzeitig spüre ich: Etwas hat sich verschoben.

Mit der wachsenden Sichtbarkeit verändert sich auch der Maßstab. Offenheit gilt heute fast als Führungsqualität. Wer reflektiert über Herausforderungen spricht, gilt als stark. Wer sich verletzlich zeigt, erhält Aufmerksamkeit. Das ist nicht per se falsch. Es braucht Menschen, die mit Haltung vorangehen – auch in schwierigen Phasen.

Und doch stellt sich die Frage: Wo endet Echtheit – und wo beginnt eine neue Form der Inszenierung?

Was einst ein mutiger Schritt in die Öffentlichkeit war, wird zur Geste. Aus innerem Impuls wird strategische Kommunikation. Die Grenze zwischen ehrlicher Reflexion und unternehmerischem Selbstmarketing wird fließend – manchmal unmerklich.
Ich frage mich, was das mit uns macht – und mit denen, die nichts erzählen. Die einfach tragen. Leise. Klar. Verantwortlich. Ohne Story, aber mit Haltung.

Ich selbst gestalte Räume wie den Fireside Chat – mit echten Stimmen, ehrlichen Impulsen und Austausch auf Augenhöhe. Und ich weiß, wie kraftvoll solche Begegnungen sein können. Aber auch, wie schnell sie kippen – in Richtung Darstellung statt Begegnung.
Denn manche Fragen tauchen dort gar nicht erst auf. Sie zeigen sich erst, wenn Bühne und Publikum wegfallen. Wenn Resonanz nicht an Wirkung geknüpft ist – sondern an Präsenz. Vielleicht braucht es solche Räume: ruhiger, klarer, jenseits der Sichtbarkeit.

Auch dieser Text ist eine Form von Sichtbarkeit. Vielleicht sogar Teil dessen, was ich hier hinterfrage. Und gerade deshalb möchte ich ehrlich bleiben – nicht im Urteil, sondern im Ringen.

Mich beschäftigt, wie echte Resonanz möglich bleibt – in einer Welt, die zunehmend performt.
Wie wir offen bleiben – ohne zynisch zu werden.
Und welche Verantwortung wir als Begleiter:innen, Moderator:innen, Coaches – aber auch als Netzwerk, Publikum oder Kolleg:innen – tragen: diese Ambivalenz auszuhalten, ohne sie vorschnell aufzulösen.

Denn letztlich gestalten wir alle mit.